Professionelles Wertemanagement in der Praxis – Teil III: Welche Werte eigentlich?

Nach dem vergangenen Artikel zum Wertemanagementkreislauf haben viele gefragt, welche konkreten Werte eigentlich für Unternehmen relevant sind, um erfolgreich zu werden oder zu bleiben! Gibt es eine allgemeine Liste, die man abarbeiten kann? Nein, die gibt es nicht! Zumindest nicht, wenn man auf Unternehmensebene oder gar der Ebene einer Organisationseinheit arbeitet. Alles was am Markt diesbezüglich verfügbar ist braucht unbedingt einen Abgleich mit Kontext, Gegebenheiten und Zielen des betrachteten Unternehmens. Wie schon im letzten Beitrag erläutert, können „übergestülpte“ Werte Dritter keine langfristige Wirkung bei Menschen erzeugen. Man kann erwachsenen Menschen Werte nicht einfach „vermitteln“, wie es so schön oft gesagt wird, sondern nur vorhandene Werte aktivieren oder an diese anknüpfen, um eine begrenzte Anzahl neuer Werte in die Akzeptanzmatrix der jeweiligen Menschen einzubringen. Nur die intrinsisch angelegten Werte im Menschen selbst werden schlussendlich wirklich gelebt. Deswegen geht es immer um die beteiligten Menschen und deren Vorstellungen! Das kann man gar nicht oft genug wiederholen! Und wie geht man konkret vor? Lesen Sie hier weiter:

Für mich gibt es einen wichtigen Indikator, welche Werte in einer bestimmten Generation wirklich erfolgreich aktiviert werden können. Dazu schaue ich mir die Erziehungsvorstellungen der jeweiligen Elterngeneration an: Sag mir wann Du geboren bist und wo Du wie aufgewachsen bist und ich sage Dir wer Du bist 🙂 Das lässt sich wissenschaftlich fundiert beispielsweise an den Ergebnissen der größten sozialwissenschaftlichen empirischen Studie der Welt ablesen: dem World Values Survey. Einige Beraterinnen und Berater verkaufen hier oft esoterischen und wissenschaftlich sehr fragwürdigen Quatsch. Fallen Sie auf diese Dinge nicht herein, sondern hinterfragen Sie die behaupteten Wertekorrelationen und Kategoriebildungen und fragen Sie nach den Kausalitäten.

Die Fixierung eines differenzierenden Wertesets erfordert die Auswahl aus einer aktuellen IST-Wertekultur und berücksichtigt bewusst die Einzigartigkeit der Organisation. Dieses differenzierende Werteset basiert auf der Einsicht, dass vor allem in gesättigten Märkten mit weitgehend homogenen Gütern und Dienstleistungen eine nicht kopierbare, einzigartige Unternehmenskultur ein unverzichtbares weiches Asset darstellt – auch als Basis für starke Markenwerte. Im Vordergrund stehen dabei das einzigartige Zusammenspiel und die Kombination der Werte vor dem Hintergrund einer klaren Unternehmensvision und –mission. Durch dauerhaft institutionalisierte Reflexion und gezielte diskursethische Weiterentwicklung des Wertesets im Kontext des jeweiligen Unternehmens und die integrative Implementierung des Werte-SOLLENS in alle bestehenden Prozesse wird die Organisationsintegrität langfristig sichergestellt und eine Schizophreniefalle vermieden.

Zunächst gilt es, die vorhandene Wertebasis im Unternehmen zu identifizieren. Dieser Schritt wird in der Praxis allzu oft einfach übersprungen oder die Werte werden als bereits gegeben betrachtet. Im schlechtesten Fall orientiert sich das Unternehmen aufgrund des Werteverständnisses an wenigen mit Gestaltungsmacht ausgestatteten Topführungskräften und deren teilweise extern durch Marketingberatung oder Unternehmensberatung vorgeschlagenen Werten, die dann einfach als gesetzt und zielführend betrachtet werden. Ein derartiges Vorgehen bildet in der Regel nicht die Realität und damit die im Unternehmen tatsächlich vorhandenen Wertepotenziale ab, sondern führt von Anfang an in eine „Wünsch-Dir-was-Farce“, die, wenn überhaupt, dann nur zufällig mit dem tatsächlichen Werteregime im Unternehmen übereinstimmen kann. Werte im Unternehmen sollen breit von allen Menschen gelebt werden, weshalb eine Anknüpfung an die bereits vorhandenen Werte in der Mitarbeiterschaft unerlässlich ist. Auch mit den ausgefeiltesten Changemanagementmethoden sind Menschen in ihrem eigenen Moralverständnis nicht einfach umzugestalten. Wenn eine von innen heraus spürbare Werteverwirklichung der Menschen angestrebt wird, ist die Anknüpfung an diese vorhandene Moral notwendig.

Hier wird deutlich, dass die erforderliche Normativität im sinnzentrierten Wertemanagement nur diskursethisch im entsprechenden Systemumfeld herzustellen ist. Es erfordert Führungsstärke, um sich auf die Moderation eines tatsächlich ergebnisoffenen und transparenten Werteidentifikationsprozesses einzulassen, denn die beiden Extrempole der möglichen Erkenntnisse könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite kann das in der relevanten Mitarbeiterschaft vorhandene Werteportfolio perfekt zur eventuell bereits fixierten Unternehmensstrategie passen und würde damit den weiteren Verlauf des Wertemanagementprozesses stark vereinfachen, auf der anderen Seite kann aber auch die Erkenntnis folgen, dass das sichtbar gemachte und in der Mitarbeiterschaft in der Regel fest verankerte Werteregime der bereits fixierten Unternehmensstrategie völlig zuwiderläuft. In diesem Schritt gilt es demnach, den IST-Zustand der Wertevorstellungen der Mitarbeiterschaft zu erheben und die derzeit vorhandene Wertebasis zu identifizieren. Mit gemischt qualitativen und quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung kann zum Beispiel durch Befragungen, teilnehmender Beobachtung, Dokumentenanalyse, Abbildung von Ritualen usw. das vorhandene Werteregime abgebildet werden. Im Verlauf dieses Prozesses wird aufgedeckt, welche Werte für die Mitarbeiterschaft derzeit besonders relevant sind, welche Wertedefinitionen bereits über ein weitgehend einheitliches Verständnis im Unternehmen verfügen und auch welche Werte aktuell nicht im Unternehmen zu finden sind. Die vollständige Abbildung dieses vorhandenen Wertesystems ist Ausgangspunkt für die spätere bewusste Kulturschärfung und -veränderung. Besonders wichtig für die Akzeptanz der Ergebnisse ist bei diesem Schritt die Berücksichtigung der Fülle aller eingebrachten Werte der gesamten Mitarbeiterschaft, Werte aus der Unternehmenshistorie und wesentliche Werte weiterer Kernstakeholder. Um einen Abgleich mit dem Werteportfolio vollziehen zu können, ist eine Analyse der Wertvorstellungen der Kunden und eventuell weiterer relevanter Anspruchsgruppen in den wichtigsten Märkten des Unternehmens gleichermaßen notwendig, wie eine definierte Vision und die Beschreibung entsprechender Strategien, um diese in den Märkten zu verwirklichen. Die beiden strategierelevanten Aufgaben, Ziele des Unternehmens konkret zu definieren und ebenfalls die relevanten Stakeholder zu definieren und zu analysieren, sind Voraussetzungen, um den nächsten Schritt im Wertemanagementkreislauf in Angriff nehmen zu können:

Hier geht es dann darum, das im Unternehmen identifizierte Wertesystem zunächst zu evaluieren. So werden die nun sichtbar gemachten Werte vollständig auf den Prüfstand gestellt, um Stärken und Schwächen zu erkennen und Ansatzpunkte für sinnvolle Anpassungen und Ergänzungen ausfindig zu machen. In diesem Schritt erfolgt der Abgleich der vorhandenen Werte allgemein mit den strategischen Zielen und der Vision, mit den für die Dienstleistungen und Produkte des Unternehmens relevanten Werten der Kunden und weiterer wichtiger Kernstakeholder sowie mit den als notwendig erachteten Werten für ein möglichst hohes Erfolgspotenzial in den für das Unternehmen relevanten Märkten. Es ist wichtig, dass das Verständnis von Erfolg hier nicht auf betriebswirtschaftliche Größen beschränkt bleibt, sondern ganz maßgeblich von der Vision und der Sinngebung des Unternehmens bestimmt wird. Die Passung der Werte wird dabei auf seinen jeweils möglichen, unternehmerischen Erfolgsbeitrag evaluiert: Welche Werte sind hilfreich oder gar unverzichtbar? Welche Werte sind für welche Ziele, Märkte, Marken und Anspruchsgruppen wesentlich? Dabei geht es nicht nur um einzelne Werte, sondern um die Gestaltung eines vollständigen und in sich stimmigen Wertesets, das eine Differenzierung des Unternehmens zulässt und gleichzeitig die vorhandenen Wertestärken im Unternehmen nutzt und weiter ausbaut. Die Ableitung eines optimalen Werteportfolios erfolgt dabei mit dem Hilfsmittel einer Wertewesentlichkeitsmatrix zur Vorauswahl und Beurteilung passender Sets.

Das herrschende Wertesystem gilt es, zielbezogen sinnvoll zu adaptieren. Dies geschieht durch die Fixierung auf eine Auswahl bereits vorhandener, besonders akzeptierter Werte und die Aufnahme zusätzlicher, zielbezogen unerlässlicher Werte. Wenige noch nicht in der Mitarbeiterschaft ausreichend verankerte Werte können in diesem Stadium in das optimale Werteportfolio mit aufgenommen werden, so dass eine Adaption der vorherrschenden Wertekultur erfolgt. Diese Werte erfordern jedoch unbedingt Argumente zur Anschlussfähigkeit und Nähe zu bereits akzeptierten Werten, um ausreichend Annahme zu erfahren. Mit diesen Einschätzungen wird im Unternehmen gemeinschaftlich die Frage „Wie sollen und wollen wir sein und handeln?“ diskutiert und ein Portfolio für das Unternehmen besonders wichtiger Werte fixiert. Die Diskussion gipfelt in der Festlegung von ca. 3 bis 10 Top-Werten, zu den sich das Unternehmen und dessen Beschäftigte von nun an aktiv bekennen. Und an dem Punkt kommt auch die Öffentlichkeit ins Spiel! Nun gilt es die „Grundwerteerklärung“, „Werteleitsterne“, „Mehrwerteerkärung“ oder wie auch immer Sie das dann nennen wollen, gemeinsam zu beschließen und zu zeigen.

In den nächsten Beiträgen gehe ich dann auf die noch fehlenden Schritte ein und natürlich Ihre weiteren Fragen – mailen Sie mir gerne …