Verpflichtung der Europäischen Zentralbank auf EU Grundrechtscharta
Letzte Aktualisierung: 11. Oktober 2023 Short Version in English here.
In den Zulassungskriterien für Wertpapiere und notenbankfähige Sicherheiten für geldpolitische Geschäfte mit der EZB (siehe z.B. Amtsblatt der Europäischen Union L 91/3, 2.4.2015) sind keine Beschränkungen ethischer Art explizit aufgeführt. Die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Menschenrechte“ kommen in der entsprechenden Leitlinie rein gar nicht vor. Dies wurde zum Anlass genommen, die von der EZB als Kreditsicherheit akzeptierten Wertpapiere erstmals hinsichtlich ethischer Kontroversen zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen eine aus Sicht des Autors inakzeptable Regulierungslücke, da die Wertpapiere mit zahlreichen ethischen Kontroversen in Verbindung stehen , welche der EU-Grundrechtscharta als Mindeststandard nicht gerecht werden. Der Autor entschied sich eine öffentliche Petition beim Europäischen Parlament einzureichen. Die Petition wurde am 08.05.2017 eingereicht und am 15.05.2017 unter der Nr. 0429/2017 mit dem Namen „Verpflichtung der Europäischen Zentralbank auf EU Grundrechtscharta“ registriert.
- Öffentliches Petitionsschreiben: !PetitionEZB_Bolsinger_082017 (PDF)
- Anlage Untersuchungsergebnisse: Bolsinger_Nachhaltigkeitsrating_EZB SicherheitenfähigeWertpapiere20170313 (XLS)
- Artikel auf CSR-News vom Mai 2017.
Eine Unterstützung der Petition ist auf der Webseite www.europarl.europa.eu/petitions möglich: Sie müssen sich zuerst registrieren, dann einloggen und auf der Suchmaske die Petition über den Begriff „Bolsinger“ suchen und danach den Button zur Unterstützung klicken.
- Die Petition wurde in der Sitzung des Petitionsausschusses am 11.10.2017 in Brüssel behandelt und wurde in letzter Minute akzeptiert. Eine Kommentierung der Sitzung durch den Petetenten erfolgte in den CSR-News (Abdruck im Forum-Wirtschaftsethik): „Es ist überfällig, die weltweite Finanzbranche zur Berücksichtigung moralischer Mindeststandards in Ihrem Finanzierungsgebaren zu bewegen. Hierzu bei den Geschäften der Zentralbanken anzusetzen, ist der richtige Schritt. Vor allem von der Europäischen Zentralbank müssen wir erwarten können, dass zumindest die Werte der europäische Grundrechtscharta nicht verletzt werden. Sollte die EZB durch diese Petition angehalten werden, ihre als Kreditsicherheiten akzeptierten Wertpapiere einer Ethikprüfung zu unterziehen, könnte dies Folgewirkung für alle Geschäftsbanken europaweit haben. Alle Banken könnten dann angehalten werden, unethische Wertpapiere zumindest bei ihren Geschäften mit der EZB nachweisbar auszuschließen.“
- Anfang Dezember 2017 kündigte der Petitionsausschuss die Einholung von Stellungnahmen an – unter anderem von der EZB selbst: Antwort_Petitionsausschuss20171130 (PDF)
- Im Januar 2018 wurde die Untersuchung aktualisiert und mit dem hier folgenden Begleitschreiben an die relevanten Stellen übermittelt: !PetitionEZB_Bolsinger_012018-WEB (PDF)
- Nachdem Anfang März 2018 noch keinerlei Feedback seitens des Ausschusses oder der angefragten Politiker vorlag und das Thema auch in der Strategievorstellung der EU für einen nachhaltigen Finanzmarkt bislang nirgends explizit zur Sprache kam, wurde am 7.3.2018 eine englische Version erneut an die relevanten Stellen übermittelt: !PetitionEZB_Bolsinger_012018-ENGLISH (PDF)
- Anfang April 2018 hat das Handelsblatt (Susanne Bergius) die EZB zur Petition direkt befragt. (Siehe Publikation vom 13.04.2018) Die Auskünfte des EZB-Sprechers zeigen, dass die Petition mit ihrem simplen Anliegen entweder nicht vollständig gelesen oder gar nicht verstanden wurde oder aber dass die seitens EZB zu erwartende Antwort darauf abzielen wird, sich nicht ändern zu müssen. Der Artikel von Susanne Bergius wurde ins Englische übersetzt und am 16.04.2018 wie oben an die relevanten Stellen zur Kenntnis und Berücksichtigung übermittelt – auch an die EZB selbst, um ihre Antwort an den Petitionsausschuss wohlüberlegt noch einmal überarbeiten zu können.
- September 2018: Die Antworten des Vorsitzenden des Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Antwort_des ECON Ausschuss_0429-2017_ECON-Reply) und der EZB (ECB Reply_June 2018_WEB) gehen an keiner Stelle auf die relevanten Punkte ein und sind erst nach mehreren Mahnungen eingetroffen. Um die Fehldarstellungen den von der EZB zitierten Personen aufzuzeigen, wurden entsprechende Schreiben verschickt (ECB Reply_June 2018-ReactionBolsinger_WEB). Auch die Europäische Kommission hat verdeutlicht, dass aus ihrer Sicht die EZB im Hinblick auf die Einhaltung der Grundrechte einfach tun und lassen kann was sie selbst für richtig hält (StellungnahmeEuropKommission_Petitionsausschuss201808).
Ausweichende und verschleppte Antworten sämtlicher Verantwortlicher bis zu dem Zeitpunkt zeigen auf, wie schlimm es um die Grundrechte im europäischen Finanzmarkt wirklich steht. Nunmehr ist dieses Trauerspiel mit seinen Beteiligten hier öffentlich dokumentiert. Es bleibt abzuwarten, was der Petitionsausschuss vor diesem Hintergrund zukünftig entscheidet und wann Politikerinnen und Politiker sowie Bürgerinnen und Bürger das nicht mehr akzeptieren.
- Am 15.10.2019 übernimmt der deutsche Nachhaltigkeitsrat in seiner Empfehlung an die Bundesregierung im Punkt 10 die Forderung nach einer Regulierung der EZB im Sinne vorliegender Petition. Ursprung des Gedankens sind Ergebnisse des Zweiten Sustainable Finance Gipfel Germany in Frankfurt von 2018. Der Nachhaltigkeitsrat geht über die bestehende Grundrechtsbindung hinaus und fordert sogar, die „EZB an das Nachhaltigkeitsprinzip [zu] binden“!
- Am 29.10.2019 wurde zum Thema die hochkarätige Tagung „Nachhaltiges Europa: Die EZB als Kardinalfehler?“ unter Federführung der Weltethos-Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft in Frankfurt ausgerichtet, die den Sachverhalt von den wichtigsten Seiten wissenschaftlich beleuchtete.
- Am 11.11.2019 wurde die Petition im neu besetzten Petitionsausschuss (Agenda Petitionsausschuss am 11.11.2019) nach einer Erläuterung und Stellungnahme erneut diskutiert. Der Petitionsausschuss hat nach einer spannenden Aussprache (Videodokumentation auf Deutsch hier, auf Englisch hier) die bisherige Vermengung mit einer völlig unpassenden weiteren Petition aufgelöst, diese andere Petition geschlossen und die Grundrechts-Petition 429/2017 offen gehalten – verbunden mit dem Vorhaben, die Forderungen nach Grundrechtscompliance der EZB bei den sich neu konstituierten zuständigen Gremien und der EZB mit neuer Leitung zur weiteren politischen Behandlung und Stellungnahme einzubringen. Dies wurde mit Schreiben vom 14.01.2020 bestätigt: Antwort_Petitionsausschuss20200114. Das Protokoll der Sitzung ist hier als PDF verfügbar.
- Am 28.04.2020 wurde beim Petitionsausschuss und den zwei deutschen Europaabgeordneten (Frau Müller – FDP und Herr Jahr – CDU) unter Verweis auf eine aktuelle Publikation im Blog der Bürgerinitiative Finanzwende nachgefragt, wie der Stand der Dinge ist. Nach einem direkten Nachhaken durch das Abgeordnetenbüro von Peter Jahr am 20.05.2020 übermittelte das Sekretariat des Petitionsausschuss am 27.05.2020 einen Abdruck des Schreibens an Frau Lagarde. Das Schreiben wurde am 14. Januar an die Präsidentin der Europäischen Zentralbank versandt. Im Mai erhielt sie laut Petitionsausschuss eine Erinnerung per Email mit der Bitte um Antwort. Der neue Ausschuss für Wirtschaft und Währung wurde nicht erneut mit dem Thema beschäftigt. Dies wurde zwar in der Ausschusssitzung am 11.11.2019 angesprochen, aber nicht im Protokoll als Beschluss vermerkt. Eine Bitte ans Sekretariat des Petitionsausschusses, dies in eigenem Ermessen noch zu tun, wurde von mir am 27. Mai übermittelt.
- Auch Anfang August 2020 lag noch keine Antwort der EZB vor. Das Abgeordnetenbüro von Peter Jahr erkundigte sich erneut nach dem Stand. Am 27. August 2020 übermittelte das Sekretariat des Petitionsausschusses die vom 5. August 2020 stammende Antwort der EZB durch den Generaldirektor International & European Relations, die nicht von der direkten Adressatin Christine Lagarde unterzeichnet wurde. Der Inhalt widerspricht in vielen Punkten den öffentlichen Verlautbarungen von Frau Präsidentin Lagarde zum Themenkreis: ECB Reply_August 2020.
- Im September 2020 wurde das Antwortschreiben der EZB mit einem Expertenkreis der Weltethos-Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft in einer wissenschaftlichen Tagung analysiert und eine Empfehlung zur weiteren politischen Behandlung erarbeitet. Diese Empfehlung wurde der Petitionsausschussvorsitzenden sowie weiteren Abgeordneten des EU-Parlamentes – einschließlich aller Fraktionsvorsitzenden – im Oktober 2020 vom Weltethosinstitut übermittelt: Committee on Petitions_EZB-Weltethos_Bolsinger (Siehe auch Bericht auf CSR-News.)
- Es erfolgte keine Reaktion auf die Empfehlung im Namen einer Fraktion. Auch die einschlägigen Fraktionen haben das Thema ignoriert. Lediglich das Feedback des EU-Parlamentsabgeordneten Markus Ferber (CSU) war sehr aufschlussreich, da er dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) seit 2009 angehört, 2014 zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses gewählt wurde und seit 2018 Sprecher der EVP-Fraktion im ECON ist. In seinem Antwortschreiben vom 3. November 2020 macht er folgendes klar: „Die EZB ist zuallererst dem Ziel der Preisstabilität und bei ihren geldpolitischen Maßnahmen dem Prinzip der Marktneutralität verpflichtet. Alle anderen Politikziele, denen sich die Europäische Zentralbank widmet, dürfen diesen Prinzipien nicht im Wege stehen.“ Im Ehrenamt ist Herr Ferber auch Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung in Bayern. In der Hoffnung auf ein Umdenken erhielt er diese Replik verbunden mit einem Appell aktiv zu werden: 202011_Ferber-Bolsinger_geschwärzt Erst auf Nachfrage erhielten wir dazu fast ein Jahr später im September 2021 eine Antwort, in der Herr Ferber erneut bekräftigt, „dass die EZB im Rahmen ihres Mandats in geldpolitischen Entscheidungen unabhängig ist“, denn „die Europäischen Verträge sind klar, was die Aufgaben der Europäischen Zentralbank angeht“. Herr Ferber ist sogar der Meinung, es gäbe „einen Auftrag an die Politik, eben diese Unabhängigkeit zu schützen.“ Hier konnte ich nur noch tief enttäuscht wie folgt antworten: „Sehr geehrte Herr Ferber, es scheint, Sie haben die Antwort nicht gelesen, denn die europäischen Verträge werden eben gerade NICHT eingehalten und Sie als politisch Mitverantwortlicher stört das offensichtlich nicht im Geringsten unter Verweis auf eine fehlinterpretierte Unabhängigkeit. Damit verwerfen Sie sehenden Auges den Primat der Politik, der die Unabhängigkeit der Zentralbank mit der Grundrechtscharta ja eingehegt hat. Dass es Verantwortliche wie Sie nicht zu stören scheint, dass diese Einhegung nicht eingehalten wird, bedauere ich sehr, denn wir alle in Europa sind darauf angewiesen, dass SIE unsere Zukunft politisch aktiv gestalten und die Stimme bei Missständen erheben und diese abstellen.“
- Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Dokumentation des Petitionsverlaufs erfolgte in Kooperation mit dem Weltethos-Institut in einem englischsprachigen Sammelband, der seit Oktober 2020 Transparenz über den Verlauf schafft.
- Am 20. Oktober 2020 haben wir beim öffentlichen EZB-Strategy Review („Die EZB hört zu“) teilgenommen und mit folgendem Text auf die Grundrechtsverletzungen aufmerksam gemacht. „Die Geldpolitik der EZB fördert durch Nichtbeachtung der EU Grundrechtscharta im Kerngeschäft (marktfähige Sicherheiten, Ankaufprogramme usw.) aktiv die Ausweitung von nicht grundrechtskonformen Wirtschaftspraktiken, indem sie diese finanziert oder bei der Finanzierung unterstützt. Das bereitet mir große Sorgen und wurde deshalb in Form der EU-Petition 0429/2017 (Verpflichtung der Europäischen Zentralbank auf EU Grundrechtscharta) adressiert. Dokumentation siehe hier: www.wirtschaftsethik.biz/zentralbank“ Damit ist auch dem Strategy-Review-Gremium die Petition zur Kenntnis gelangt und hätte in die Vorlage für Frau Lagarde einfließen können. Ursprünglich hätten wir gerne als Weltethosinstitut an der LiveDiskussion mit Frau Lagarde teilgenommen, was allerdings nicht genehmigt wurde.
- 30. November 2020: Christine Lagarde bestätigt die Rechtmäßigkeit der erstmals in der Petition ins Spiel gebrachten Steuerungsoption durch Selektion von marktfähigen Sicherheiten im Online-Gespräch mit dem European Policy Centre. Sie bezieht sich dabei zwar auf die Anwendung der Taxonomie für nachhaltige Investments der EU-Kommission, belegt aber damit, dass sie durchaus sofort in der Lage wäre auf Basis bestehender Rechtsgrundlagen – wie es die Grundrechtscharta seit 10 Jahren bereits ist – die in der Petition geforderten Korrekturen umzusetzen.
- Große Hoffnung für das Anliegen der Petition setzten wir in die Ernennung von Mairead McGuinness zur Kommissarin für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmärkte der Europäischen Kommission und ermutigten sie im Januar 2021 mit diesem Schreiben, Transparenz über die Grundrechtscompliance der EZB zu schaffen: 202101_McGuinness-BolsingerHoffmann_geschwärzt Wir hatten sie auch um Teilnahme an unserer Tagung im Oktober 2021 gebeten. Ende August 2021 bekamen wir eine Absage – es war auch keine Vertretung oder Videobotschaft möglich gemacht worden und bezüglich der Transparenz über die Grundrechtscompliance der EZB sind uns keinerlei Aktivitäten bekannt geworden.
- Im März 2021 antwortete Gabriele Bischoff (SPD) auf eine direkte Bürgeranfrage zur Petition. Frau Bischoff ist Stellvertreterin im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) und hat damit aktuell eine etwas gewichtigere Rolle als das derzeit einfache Mitglied Markus Ferber. Sie machte klar, dass die EZB „sich nicht indirekt an der Finanzierung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen“ sollte, aber auch „als Institution sowohl von den EU-Institutionen als auch von den Regierungen der Mitgliedsstaaten unabhängig ist.“ Erst durch Frau Bischoffs Antwort erfuhren wir, dass mit einer parlamentarischen Anfrage im März 2020 geklärt werden sollte, ob die EZB beim Wertpapierhandel im Einklang mit der Europäischen Grundrechtecharta steht. Aus dem Petitionsausschuss erfolgte dazu leider keinerlei Information an den Petenten, obwohl diese Anfrage auf die Petition zurückgeführt werden kann. Die Antwort von Frau Lagarde (hier direkt abrufbar) vom Juni 2020 beinhaltete laut Frau Bischoff die folgenden Hauptaussagen
„- Wie alle EU-Organe ist auch die EZB Adressat der Charta der Grundrechte.- Die EZB achtet die Rechte, beachtet die Grundsätze und fördert deren Anwendung im Rahmen ihrer Befugnisse und unter Beachtung der Grenzen, die ihr durch die EU-Verträge auferlegt wurden.
– Dies umfasst alle Aufgaben der EZB in den Bereichen Geldpolitik und Bankenaufsicht, in ihrer beratenden Funktion sowie ihre Rolle gemäß dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Verordnung (EU) Nr. 472/2013.
– Die Überprüfung der Vereinbarkeit der Maßnahmen der EZB mit der Charta ist Teil der EZB-internen rechtlichen Prüfungsverfahren, die für alle Maßnahmen gelten, mit denen die EZB ihre Aufgaben wahrnimmt.
– Darüber hinaus kann die Übereinstimmung des Handelns der EZB mit der Charta vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden. Der EuGH hat bestätigt, dass die Zentralbank im Einklang mit der Charta handelt (Urteile: Frank Steinhoff and Others v European Central Bank, Case T-107/17 & Frank Steinhoff and Others v European Central Bank, Case T-107/17).“
Frau Lagarde will mit den oben genannten Urteilen dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) Glauben machen, dass die Grundrechtschartacompliance der EZB vom EuGH bereits allgemein bestätigt wäre. Das ist jedoch falsch und irreführend im Zusammenhang mit den Forderungen der Petition. Die Klage im Kontext der Vereinigte Raiffeisenbanken Gräfenberg-Forchheim-Eschenau-Heroldsberg eG bezieht sich zum einen auf einen anderen Sachverhalt (im Speziellen auf Eigentumsrechte) und zum anderen macht der EuGH in seiner Urteilsbegründung (siehe EUR-Lex – 62017TJ0107 – EN – EUR-Lex (europa.eu) ) im Sinne der Petition ganz klar „Auch befreit der besondere Status, der der EZB im institutionellen Gefüge der Verträge zuerkannt wird, sie weder von der Einhaltung der Grundrechte der Union noch von ihrer Pflicht, zur Erreichung der in den Art. 2, 3 und 6 EUV genannten Ziele der Union beizutragen […] Jedoch ist auch darauf hinzuweisen, dass das in Art. 17 Abs. 1 der Charta verbürgte Grundrecht nicht uneingeschränkt gilt und seine Ausübung Beschränkungen unterworfen werden kann, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Union gerechtfertigt sind“
Mit Sicherheit dient es nicht dem Gemeinwohl, wenn die EZB Unternehmen fördert, die beispielsweise Sklavenarbeit und Kinderarbeit akzeptieren, Korruption und Steuervermeidung betreiben oder die Umwelt systematisch zerstören. In Bezug auf die Petition ist die Antwort der EZB-Präsidentin nach meiner Auffassung in diesem Aspekt ein Skandal und verhöhnt das EU-Parlament. Auch im von Lagarde benannten Urteil EUR-Lex – 62013TJ0079 – EN – EUR-Lex (europa.eu) ist kein Bezug zu der Kritik aus der Petition erkennbar. Es geht schlicht nicht um die Frage, die das Parlament gestellt hatte, nämlich die Grundrechtscompliance der von der EZB gehandelten und angekauften Wertpapiere. - Unter dem Dach der New Economics Foundation wird im März 2021 die Studie „GREENING THE EUROSYSTEM COLLATERAL FRAMEWORK – How to decarbonise the ECB’s monetary policy“ veröffentlicht. Darin wird ähnlich wie in der Untersuchung aus der Petition aufgezeigt, dass die von der Europäischen Zentralbank als Kreditsicherheiten akzeptierten Wertpapiere überproportional viele klimaschädliche Unternehmen beinhalten und diese noch dazu bei der Risikobewertung von niedrigeren Abschlägen profitieren.
- Die Umweltschutzorganisation ClientEarth reicht am 13. April 2021 exemplarisch für alle Notenbanken des Eurosystems in Belgien erstmals eine Klage gegen die belgische Notenbank ein, um mit den Klimazielen der Europäischen Union unvereinbare Anleihekäufe der Notenbank als Erfüllungsgehilfin der EZB zu unterbinden. Beigefügt ist ein Vorlageantrag für den Europäischen Gerichtshof unter Bezug auf die Grundrechtscharta der EU. Am Tag zuvor erläutert ClientEarth die Hintergründe der Klage in einer Aufforderung an Christine Lagarde, endlich die Rechtsbrüche abzustellen. Der weitere Verlauf der Klage ist bedeutsam für die Umsetzung der Forderungen aus der Petition, denn auch alle anderen Bestimmungen der Grundrechtecharta sind einklagbar und relevant – nicht nur der hier isoliert herausgegriffene Klimaschutz.
- Im Juni 2021 veröffentlicht Dr. Roda Verheyen (Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht und Mitgründerin und Vorstandsmitglied von Green Legal Impact Germany e. V.) zusammen mit Greenpeace ein neues Rechtsgutachten, aus dem die Verpflichtung der EZB zur Berücksichtigung von Klimazielen bei ihrer Tätigkeit hervorgeht. Das Gutachten belegt auf S. 21 f. auch die Grundrechtschartabindung der EZB und argumentiert vergleichbar wie der Beitrag der RAe Marian Szidzek und Dr. jur. Christian Szidzek auf der Tagung der Weltethos Forschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft im Jahr 2019 (veröffentlicht im zugehörigen Tagungsband S. 43 ff. und verkürzt in der deutschsprachigen Tagungsdokumentation S. 15 f.).
- Im Juli 2021 kommuniziert die EZB erstmals einen Maßnahmenplan zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten in ihrer geldpolitischen Strategie. Die bislang mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnten Forderungen der Petition sollen darin nun plötzlich umgesetzt werden, allerdings nur selektiv für Klimaschutzaspekte und nicht für alle Aspekte der EU-Grundrechtscharta. Folgende Vorhaben sind dabei besonders relevant (siehe EZB-Pressemitteilung vom 8. Juli 2021):
„Für Vermögenswerte des privaten Sektors wird die EZB Offenlegungsanforderungen als ein neues Zulassungskriterium oder als Grundlage für eine differenzierte Behandlung als Sicherheit oder im Rahmen der Ankäufe von Vermögenswerten festlegen. Diese Anforderungen werden EU-Maßnahmen und -Initiativen im Bereich Offenlegung und Berichterstattung zur ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigen. Sie werden eine einheitlichere Offenlegungspraxis am Markt fördern und gleichzeitig, durch angepasste Anforderungen für kleine und mittlere Unternehmen, die Verhältnismäßigkeit wahren. Einen detaillierten Plan wird die EZB im Jahr 2022 bekannt geben.
[…]
Die EZB wird relevante Klimarisiken bei der Prüfung der Bewertung und der Risikokontrollmaßnahmen für Vermögenswerte berücksichtigen, die von Geschäftspartnern als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems gestellt werden.
[…]
Künftig wird die EZB die Regelungen, an denen sich die Allokation der Ankäufe von Unternehmensanleihen orientiert, im Einklang mit ihrem Mandat um Klimakriterien ergänzen. Zu diesen Kriterien wird gehören, dass Emittenten mindestens mit den Rechtsvorschriften der EU zur Umsetzung der Ziele des Pariser Abkommens in Einklang stehen oder sich zu diesen Zielen bekennen. Darüber hinaus wird die EZB bis zum ersten Quartal 2023 damit beginnen, klimabezogene Informationen zum Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme – CSPP) zu veröffentlichen.“
Das belegt einmal mehr, dass die EZB ihrer Gestaltungsmacht und ihrer Verantwortung gegenüber der Grundrechtscharta bewusst ist, aber dieser nur selektiv und al-gusto gerecht werden möchte. Aspekte wie Kinderarbeit (Art. 32),Umweltschutz auch jenseits von Klimarisiken (Art. 37) oder Menschenrechtsverletzungen (Art. 5) wie z.B. Zwangsarbeit aber auch Steuervermeidung und Korruption oder gar die Produktion von geächteten Kriegswaffen werden weiterhin bewusst ignoriert. Dass „Marktneutralität“ nicht möglich und auch nicht geboten ist, weil geldpolitisches Agieren immer Auswirkungen in der Realwelt hat, belegt die EZB hiermit erstmals durch ihre Beschlüsse selbst. - Im September 2021 haben wir die Petitionsausschussvorsitzende und MdEP Peter Jahr um ein Update gebeten, da nun wieder ein Jahr vergangen ist. Herr Jahr hatte vom Sekretariat des Petitionsausschuss bestätigt bekommen, dass die Petition tatsächlich zuletzt in 2020 bearbeitet wurde. Er wird sich bemühen, die Petition wieder auf die Tagesordnung des Ausschusses zu setzen, damit diese endlich weiterbearbeitet wird.
Der Status ist auch nach 4 Jahren immer noch bedenklich: Verschleppte, unpassende Antworten und mangelndes Verständnis entscheidender Verantwortlicher zeigen auf, wie schlimm es um die Grundrechte im europäischen Finanzmarkt immer noch steht. Aus diesem Grund versuchen wir erneut mit einer hochkarätig besetzten Tagung die öffentliche Diskussion mit Fachexpertinnen und -experten am 13. Oktober 2021 in Frankfurt in Gang zu bringen.
Seit der letzten Tagung haben sich folgende gewichtige Argumente im Sinne der Petition entwickelt:
- Der EuGH hat in einer Urteilsbegründung 2019 bestätigt, dass „der besondere Status, der der EZB im institutionellen Gefüge der Verträge zuerkannt wird, sie weder von der Einhaltung der Grundrechte der Union noch von ihrer Pflicht, zur Erreichung der in den Art. 2, 3 und 6 EUV genannten Ziele der Union beizutragen“ befreit.
- Es liegt seit diesem Jahr ein Rechtsgutachten zur Pflicht der Berücksichtigung des Klimaschutzes in der EZB-Geldpolitik vor, das auch auf die EU-Grundrechtscharta Bezug nimmt.
- Eine weitere aktuelle Studie belegt negative Effekte im Sinne des Klimaschutzes durch die Kreditsicherheitenpolitik der EZB und führt damit die Enthüllungen der Petition fort.
- Es ist seit diesem Jahr eine erste Klage in Belgien anhängig, die zwar auf Klimaschutz abzielt, aber im Geist der Petition argumentiert.
- Die EZB kündigte dieses Jahr eine Strategieanpassung an, die sich im Klimaschutz an die Argumentation der Petition anlehnt und damit selbst aufzeigt, dass Marktneutralität weder möglich noch rechtlich geboten oder gar politisch sinnvoll ist.
- Vereinzelte Parlamentarier in relevanten Ausschüssen verstehen weder den Sachverhalt noch dessen Bedeutung und verstecken sich teilweise immer noch hinter simplen Argumenten zu Marktneutralität und Unabhängigkeit der EZB. Parlamentarier, die Änderungen anstreben, geben sich all zu leicht mit unpassenden Antworten seitens der EZB zufrieden. Auch der amtierende EU-Petitionsausschuss war zu lange untätig und hat die Behandlung der Petition erneut sehr lange ruhen lassen.
- Die Präsidentin der EZB sowie die Europäische Kommission und die relevanten Ausschüsse des Europäischen Parlaments – also alle relevanten Akteurinnen und Akteure – sind nun nachweislich über die in der Petition aufgezeigten Missstände und Optionen zur Beseitigung dieser informiert. Untätigkeit ist demnach nicht mehr durch Nichtwissen entschuldbar.
- Nach der Tagung am 13. Oktober 2021 wurde auf Initiative von MdEP Peter Jahr die Petition wieder auf die Agenda des Petitionsausschusses genommen. Am 1.12.2021 wurde nach einer Live-Stellungnahme von Harald Bolsinger und Jens Minnemann um 16:45 Uhr über das weitere Vorgehen im Ausschuss in Brüssel diskutiert. Nach dem Appell an den Ausschuss, endlich Gerechtigkeit ins Eurosystem zu bringen, indem wenigstens in einem ersten Schritt Transparenz der EZB über Grundrechtskontroversen zu ihrem gesamten Wertpapierbesitz eingefordert wird, wurden klare Stimmen auch im Ausschuss hörbar:
- Der Vertreter der Europäischen Kommission unterstrich die Wichtigkeit der Petition und stimmte mittlerweile zu, dass alle EU-Institutionen an die Grundrechtscharta gebunden seien, ABER DIE EZB SEI IN DER EU ALLEINE ZUSTÄNDIG IN „DIESEN DINGEN“ UND DEMNACH ALLEINIGER ANSPRECHPARTNER. ZUSTÄNDIG SEI DIE EZB UND NICHT DIE KOMMISSION. Damit bleibt die Europäische Kommission auch unter Ursula von der Leyen bei der Meinung, dass die EZB im Hinblick auf die Einhaltung der Grundrechte weiterhin einfach tun und lassen kann was sie will.
- Peter Jahr für die EVP zeigte auf, dass Unabhängigkeit immer Grenzen hat, die genau austariert werden müssten – das gelte auch für die EZB. Allerdings befänden sich die Fachexperten für die Fragestellung der Petition im Währungsausschuss, weshalb diese sich seiner Meinung nach damit weiter beschäftigen sollte. Ebenso solle noch einmal Christine Lagarde direkt gebeten werden, eine Stellungnahme der EZB gegenüber dem Parlament zur Petition abzugeben.
- Die Vizepräsidentin des amtierenden Petitionsausschusses Yana Toom, aktiv für die Renew Europe Group, brachte den bisherigen bürokratischen Umgang mit der Petition auf den Punkt: Die EZB würde die Antwort der Europäischen Kommission zitieren und diese wiederum sich selbst mit dem Ergebnis, dass sich die Antwort sinngemäß erschöpfen würde in einem „Ja da können wir jetzt nichts machen!“ Frau Toom akzeptiert eine Nullantwort auf die wichtige Fragestellung der Petition nicht, die wie eine heiße Kartoffel seit Jahren weitergereicht würde, ohne dass ein Ergebnis dabei herausgekommen wäre. Deshalb forderte sie, ein besonderes Auge auf konkrete Antworten zu haben und auf eine Antwort zum Beispiel aus dem Währungsausschuss zu beharren.
- Die Präsidentin des amtierenden Petitionsausschusses Dolors Montserrat entschied schlussendlich, dass die Petition nicht noch einmal an den Währungsausschuss weitergegeben wird, da hier bereits eine Antwort vorliegen würde. Es soll nur noch einmal ein Schreiben an die EZB gehen, mit der erneuten Bitte um Stellungnahme.
Nachdem die Präsidentin der Europäische Kommission seit 2019 Ursula von der Leyen ist und diese in ihrer Bewerbungsphase unter anderem „A European Green Deal“ und „An economy that works for people“ ausgelobt hatte sowie zu ihrer Amtseinführung am 10. Jahrestage des Vertrags zu Lissabon medienwirksam zusammen mit dem EU-Ratspräsidenten, dem mittlerweile verstorbenen EU-Parlamentspräsidenten und der EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Charta der Grundrechte der EU in die Kameras gehalten hatte, kam das Festhalten der Kommission an der falschen Verantwortungszurückweisung von 2017 sehr überraschend und enttäuschte tief. Peter Jahrs Verweis auf den Währungsausschuss war zwar richtig, doch die Beschäftigung mit dem Thema ist in dem Gremium bereits ohne nennenswerte Folgeaktivitäten erfolgt, wie die Auskunft von Gabriele Bischoff als Stellvertreterin im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) auf eine direkte Bürgeranfrage zur Petition bereits zeigte. Die irreführende Antwort von Christine Lagarde wurde oben bereits analysiert. Vor allem Frau Tooms Einschätzung machte Mut, dass das Anliegen der Petition doch noch ernsthaft mit den zuständigen Entscheiderinnen ohne Ausflüchte diskutiert werden solle. Die Entscheidung der Petitionsausschussvorsitzenden, die EZB mit der Bitte um Stellungnahme anzuschreiben, scheint der kleinste gemeinsame Nenner dieser Sitzung zu sein, auf dem nun weiterhin die ganze Hoffnung auf Gerechtigkeit im Eurosystem ruht. Eine Initiative, Transparenz gegenüber dem Europäischen Parlament über die Grundrechtskonformität des gesamten Wertpapierbesitzes der EZB herzustellen, war nicht erkennbar. Die Videodokumentation der Sitzung ist hier als Stream verfügbar: Bring justice into the Eurosystem – Gerechtigkeit ins Eurosystem bringen – ORIENTIERUNGsKOMPETENZ.de (wirtschaftsethik.biz)
- Schon zeitnah am 17.12.2021 informierte die Vorsitzende des Petitionsausschusses darüber (siehe 0429.17.DE.Outcome A-petitioner was present-send ECB and ECON.STAMPED__geschwärzt), dass der von uns am 20.10.2020 übermittelte offene Brief an den Petitionsausschuss direkt an Christine Lagarde gesandt würde mit der Bitte um Stellungnahme. Das geschah am 20.12.2021 mit folgendem Schreiben: ECB 0429_17_geschwärzt Ein Abdruck davon würde den Abgeordneten des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) übermittelt. Dieser offene Brief ist zwar nicht mehr ganz aktuell, da zwischenzeitlich die EZB ihre Strategie geändert hat, aber wir sind gespannt, ob die Antwort der Präsidentin nun konkrete Schritte beinhaltet und ob der ECON sich des Themas erneut annimmt mit der Forderung nach echter Transparenz von der EZB anstelle von allgemein gehaltenen und unkonkreten Antworten.
- Im Januar 2022 antwortete die EZB auf eine direkte Bürgeranfrage zum Kern der Petition. Die Korrespondenz der Generaldirektion Kommunikation der EZB mit dem Bürger ist äußerst aufschlussreich und zeigt, welches Verständnis von Transparenz und Glaubwürdigkeit in der Europäischen Zentralbank zu dem Thema in der Kommunikationspraxis vorherrscht. Der Bürger bat im Oktober 2021 beim ECB Visitor Centre per E-Mail (Visitor[Punkt]Centre[Klammeraffe]ecb[Punkt]europa[Punkt]eu) in deutscher Sprache um Antwort auf die Frage „Sollte die EZB Menschenrechtsverletzungen bewusst ignorieren und sich an der Finanzierung von geächteten Kriegswaffen sowie der Umweltzerstörung und Ausbeutung von Menschen beteiligen? Ist Preisstabilität nur mit der Unterstützung von Verbrechen zu erreichen?“ Die Generaldirektion Kommunikation (Interne Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit) antwortete dem Bürger daraufhin im November 2021 von ECB Information info[Klammeraffe]ecb[Punkt]int aus wie folgt: „Mit Bezug auf Ihre Fragen möchten wir auf die Ausführungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihrem Schreiben an Clare Daly, Mitglied des Europäischen Parlaments, verweisen: „[…] Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gilt für alle EU-Institutionen und somit auch für die EZB. Die EZB achtet diese Grundrechte, hält sich an die in der Charta enthaltenen Grundsätze und fördert deren Anwendung im Einklang mit ihren Befugnissen und unter Beachtung der Grenzen der Befugnisse der Union, die ihr durch die Verträge übertragen wurden. Dies gilt für sämtliche Aufgaben der EZB in den Bereichen Geldpolitik und Bankenaufsicht, in ihrer beratenden Funktion sowie in der Rolle, die ihr gemäß dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) und der Verordnung (EU) Nr. 472/2013 zufällt. Im Zuge unserer internen Verfahren prüfen wir auch, ob unsere Maßnahmen in rechtlicher Hinsicht mit der Charta im Einklang stehen. Dies gilt für sämtliche Maßnahmen, die wir zur Erfüllung unserer Aufgaben ergreifen. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union kann die Vereinbarkeit unserer Maßnahmen mit der Charta überprüfen. Er hat bestätigt, dass dies der Fall ist. In diesem Zusammenhang möchten wir darauf hinweisen, dass die EZB gemäß den Verträgen über ein genau festgelegtes Mandat verfügt und mit spezifischen Aufgaben betraut ist. In diesem Punkt unterscheidet sie sich von der Kommission, die als Hüterin der Verträge die Aufgabe hat, allgemein die Anwendung des EU-Rechts zu überwachen. Die Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament ist ein weiterer Kanal, über den die Einhaltung sichergestellt wird.“ „Der Bürger antwortete im Januar 2022 folgendermaßen unter Verweis auf die Website auf der Sie sich gerade befinden: „Zum Zitat von Frau Lagarde folgende Frage: Warum werden in den „marktfähigen Sicherheiten“ von der EZB unethische Emittenten akzeptiert und keinerlei Grundrechtscompliance geprüft, wenn denn die Charta „.für sämtliche Aufgaben der EZB in den Bereichen Geldpolitik [gilt]“? Ich würde mich über Antwort hierzu freuen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen. “ Er bekam 2 Tage später diese ernüchternde Antwort: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Europäische Zentralbank grundsätzlich keine Medienartikel oder Zitate kommentiert. Unserer vorangegangen Antwort haben wir daher nichts hinzuzufügen.“ Daraufhin äußerte der Bürger sein Verständnis und hatte nur um Beantwortung seiner konkreten und einfachen Frage ohne Kommentierung des „Medienartikels“ gebeten: „deshalb bitte ich nur um die einfache Beantwortung meiner konkreten Frage: Warum werden in den „marktfähigen Sicherheiten“ von der EZB unethische Emittenten akzeptiert und keinerlei Grundrechtscompliance geprüft, wenn denn die Charta „für sämtliche Aufgaben der EZB in den Bereichen Geldpolitik [gilt]“? Ich würde mich über Antwort hierzu freuen. “ Die abschließende Antwort der EZB darauf kam 10 Tage später am 25.01.2022 – offensichtlich war dazu doch noch eine interne Klärung nötig: „vielen Dank für Ihre E-Mail vom 15. Januar 2022. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir unserer Antwort vom 10. Januar 2022 nichts hinzuzufügen haben. Mit freundlichen Grüßen“
- Im April 2022 erfolgt Nachfrage beim Büro des Petitionsausschusses, ob die Antwort der EZB nun vorliegt. Dies war zu dem Zeitpunkt noch nicht der Fall. Allerdings wurde die Petition zusätzlich an den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments weitergeleitet, um Fragen zu den Due-Diligence-Standards klären zu lassen.
- Im Mai 2022 wurde dem Büro des Petitionsausschusses mitgeteilt, dass die EZB zwischenzeitlich über die Deutsche Bundesbank Klimaschutzdaten von ISS zukauft und damit dem Vorschlag der Petition von 2017 folgt. Darüber hinaus widerlegt die EZB mit diesem Rahmenvertrag ihr eigenes Argument, dass Ratingeinschätzungen von Privatunternehmen nicht für die EZB verwendet werden könnten.
- Im September 2022 wurde das Büro des Petitionsausschusses erneut gefragt, ob die Antwort der EZB nun endlich vorliege. Dies war nun der Fall und das Büro des Petitionsausschusses leitete die Antwort der EZB vom 21. Juli 2022 an den Petitionsausschussvorsitz weiter (siehe Abdruck mit ergänzten Markierungen wichtiger Aussagen hier als PDF) , die von den stellvertretenden Generaldirektionen „International and European Relations” und “Legal Services” der EZB stammen.
- Der Stellenwert der Fragestellung der Petition bei der ECB scheint noch immer nicht hoch genug zu sein, als dass die Präsidentin es als nötig erachtet, persönlich zu antworten. Inhaltlich bleibt die Antwort auf demselben Niveau wie die vorhergehenden Antworten. Die EZB verteidigt ihre selektive Berücksichtigung von Klimarisiken und behauptet, dass sämtliche andere Riskiken der systematischen Untergrabung von EU Grundrechten nicht auf ihrer Agenda stehen müssen beziehungsweise sie diese nicht quantifizieren könne. Gleichzeitig behauptet sie paradoxerweise, diese so weit nötig dennoch zu berücksichtigen. Die EZB fasst selbst zusammen: „Eine verbindliche Bewertung der Einhaltung [der EU-Grundrechtscharta] kann nur von den kompetenten Autoritäten, einschließlich der nationalen und EU-Gerichte, vorgenommen werden, die bei möglichen Verstößen spezifische Rechtsmittel anbieten.“ Damit ist naheliegend, dass sie sich selbst nicht als „kompetente Autorität“ sieht, die überprüfen kann, inwieweit potenzielle Verstöße gegen die Grundrechtscharta vorliegen. Das sieht sie eher bei Gerichten. Es bleibt ein echtes Armutszeugnis für eine europäische Institution, auch in 2022 noch auf die Anrufung von Gerichten zu verweisen, anstatt selbst die seit 1999 bestehende Pflicht umzusetzen, die EU Grundrechte in all ihrem Tun und damit auch ihren geldpolitischen Instrumenten zur Anwendung zu bringen.Nach dieser Antwort und dem Verlauf der Petition scheint naheliegend, dass die EZB sich nur dann um dieses Problem kümmern wird, wenn sie vor dem EuGH verklagt wird und verliert oder wenn politisch seitens EU-Kommission und EU-Parlament interveniert wird. Für die nötigen juristischen Anpassungen zur Lösung des Problems hat Arınç Onat Kılıç von der Universität Antwerpen in Belgien eine hervorragende Betrachtung vorgelegt, die EU-Kommission und EU-Parlament hilfreich bei der Veränderung des juristischen Rahmend der EZB sein können. Welchen Stellenwert die Grundrechte bei der Zentralbank wirklich haben müssen, kann nur noch der Petitionsausschuss des EU-Parlaments klarstellen, denn eine Klage als Privatperson erscheint perspektivlos.
- Nachdem erneut keine weitere Reaktion oder Information seitens des EU-Petitionsausschusses erfolgt ist, wurden mit untenstehendem (englischsprachigen) Brief die TOP-Entscheiderinnen und -entscheider der EU Anfang Mai 2023 direkt angeschrieben. Das Schreiben ging persönlich unterschrieben an: President of the European Council, Charles Michel; President of the European Commission, Ursula von der Leyen; President of the European Parliament, Roberta Metsola; President of the Group of the European People’s Party, Manfred Weber; President of the Renew Europe Group in the European Parliament, Stéphane SÉJOURNÉ; President of the Identity and Democracy (ID) group in the European Parliament, Marco Zanni; Co-President of the Greens/EFA parliamentary group in the European Parliament, Terry Reintke; Co-President of the Left in the European Parliament – Group GUE/NGL, Martin Schirdewan; Co-Chairman of the European Conservatives and Reformists Group in the European Parliament, Ryszard Legutko; President of the Progressive Alliance of Socialists & Democrats in the European Parliament, Iratxe García Pérez
„Europäische Grundrechte im Eurosystem
Sehr geehrte […]
seit 2017 machen wir auf die unrechtmäßige Vernachlässigung der EU-Grundrechtecharta im Eurosystem aufmerksam. Wir bitten Sie aufrichtig, mit Ihrem politischen Gewicht diesbezüglich tätig zu werden und im Eurosystem die Förderung von grundrechtsverletzendem Handeln baldmöglichst abzustellen. Wir sind uns sicher, dass Ihnen die Tragweite bewusst ist, wenn mit einem Finanzvolumen von derzeit 17 Billionen € (= Wertpapiere/Marktfähige Sicherheiten) die Grundrechte der Europäischen Union systematisch untergraben werden können.
Seit sechs Jahren ist dazu eine Petition im Europäischen Parlament offen und ungelöst. Erfahrungen mit dem bisherigen Umgang der einfachen und legitimen Bitte, Grundrechte auch im Handeln der Europäischen Zentralbank konsequent zur Anwendung zu bringen, haben wir in unserer Forschung thematisiert. Ein Vorabdruck des im Juni erscheinenden Fachbuches ist hier als Auszug kostenlos online erhältlich.
Die konsequente Anwendung der Grundrechtecharta im europäischen Finanzsystem ist eine Grundvoraussetzung für die Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Union. Sie spiegelt nicht nur die Glaubwürdigkeit Ihres persönlich geleisteten Amtseides wider, sondern auch die Glaubwürdigkeit aller Europäischen Institutionen: Werden unsere Europäischen Werte wirklich in allen unseren Institutionen konsequent berücksichtigt und umgesetzt?
Bitte lassen Sie uns wissen, wann und in welcher Form [Sie] sich dafür einsetzen […werden], Instrumente und Handeln der Europäischen Zentralbank grundrechtskonform umzugestalten.
Mit freundlichen Grüßen
für die Weltethosforschungsgruppe Finanzen und Wirtschaft
Prof. Dr Johannes Hoffmann, Prof. Dr Harald J. Bolsinger, Dr. Bernd Villhauer
(Founding Board, Chairman) (Advisory Board, Regulatory Policy) (Board, Director Research)“
- Gleichzeitig ist die Dokumentation der Grundproblematik wissenschaftlich aufgearbeitet worden und wurde hier publiziert.
- Juli 2023: Greenpeace fordert einmal mehr von der EZB, ihr Anleihenportfolio wenigstens CO2-schonend zu gestalten und fordert damit analog die Einhegung der Geldpolitik in bestehende normative Verpflichtungen (Paris Climate Agreement & Grundrechtecharta)
- Von den TOP-Entscheiderinnen und -entscheidern der EU kam abgesehen von einer Eingangsbestätigung im Mai seitens des Büros von Charles Michel bis heute (Sept. 2023) keinerlei Feedback: „Dear Prof. Bolsinger,The General Secretariat of the Council of the European Union, which assists the European Council and the Council of the EU, acknowledges receipt of your letter of 05.04.2023 addressed to President Michel.
Best regards,
The Public Information Service
General Secretariat of the Council of the European Union
Contact: https://www.consilium.europa.eu/en/infopublic/
Disclaimer: The information provided has been prepared by the Public Information Service of the General Secretariat of the Council of the EU and may not be regarded as constituting an official position of the Council.
Initial question:
Ref: IM 4689 2023, 18.04.2023
Re: your letter Fundamental Rights in the Eurosystem, 05.04.2023″ - 15. September 2023: Der EU-Petitionsausschusses hat ein Review der Petition zusammen mit vielen weiteren Petitionen auf seine Sitzungsagenda für den 21.9.2023 genommen, um über eine Schließung der Petition zu beraten. Als Petent bekam ich dazu bisher keine Information seitens des Petitionsausschusses. Nachdem bisher keinerlei politische Veränderung auf die Petition hin erfolgt ist, steigt die Spannung, wie der Petitionsausschuss seine Arbeit hierzu selbst beurteilen wird und ob er diese fundamentale Frage der Gerechtigkeit im europäischen Finanzsystem ohne die geringste Lösung als abgehakt betrachten wird. Heute werde ich noch in einer kurzen Mail Peter Jahr über die Schreiben an die Top-Entscheider ins Bild setzen, damit er zu der Sitzung voll im Bilde ist.
-
23. September 2023: Der EU-Petitionsausschusses hat heute um 5:32 per automatisierter E-Mail darüber informiert, dass der Status der Petition auf „abgeschlossen“ gesetzt wurde. Am 2. Oktober erhielt ich den offiziellen Brief dazu: STAMPED_0429.17.DE. Outcome B-close_geschwärzt
- Am 11. Oktober 2023 erscheint die Erläuterung zu diesem Skandal im Fachmedium ESG.table Der EU-Finanzmarkt ist ethisch völlig blind gegenüber den zentralsten EU-Werten! – OrientationCompetence.Institute (wirtschaftsethik.biz)
___________________________________________________________________________________________________Die ursprüngliche Petition:
Sachverhalt:
Die EZB ist durch die Akzeptanz von fragwürdigen Wertpapieren zur Besicherung ihrer geldpolitischen Operationen im großen Stil daran beteiligt, die grundlegendsten Werte der Europäischen Union zu untergraben. Die Auswirkungen dieses Handelns haben wegen ihres großen Transaktionsvolumens wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Europäischen Union. Der Handel und Besitz von mit Verstößen gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung zu bringenden Wertpapieren ist von der EZB und ihren Erfüllungsgehilfen deshalb zu unterlassen.
4.781 Banken und Sparkassen waren 2017 im Eurogebiet verpflichtet, Mindestreservemittel bei der EZB (bzw. ihrer nationalen Zentralbank) zu halten. Weitere 2.493 Finanzinstitute und Fonds waren gelistete Geschäftspartner der EZB für Refinanzierungsgeschäfte. Damit standen 7.274 Banken, Sparkassen, Geldmarktfonds, und Finanzinstituten einschließlich nationaler Zentralbanken in der Pflicht, so genannte notenbankfähige Sicherheiten für geldpolitische Geschäfte mit der EZB in ihrem Portfolio zu halten. Das gehandelte Volumen dieser Wertpapiere beläuft sich derzeit auf ca. 14 Billionen € und ist damit ein wesentlicher Hebel für oder gegen die Verwirklichung europäischer Werte in der Realwirtschaft.[2] Die EZB (bzw. die jeweilige nationale Zentralbank als Erfüllungsgehilfe) wird als Pfandgläubigerin notenbankfähiger Sicherheiten Besitzerin der entsprechenden Wertpapiere. Der Handel und Besitz von Wertpapieren, welche die Charta der Grundrechte der Europäischen Union untergraben, schadet der Europäischen Union. Für eine europäische Institution wie die EZB ist dies nicht hinnehmbar und kann auch nicht durch geldpolitische Unabhängigkeit gerechtfertigt oder gar begründet werden.
Beleg:
Die Website der EZB bietet Zugriff auf ihr täglich aktualisiertes Verzeichnis marktfähiger Sicherheiten, welche sie zur Besicherung geldpolitischer Operationen akzeptiert (=marktfähige notenbankfähige Sicherheiten). Hinzu kommen nicht veröffentlichte, nicht marktfähige Wertpapiere, welche die Notenbankfähigkeitskriterien erfüllen und ebenfalls zur Besicherung akzeptiert werden. Die marktfähigen Sicherheiten aller Emittenten, welche die Notenbankfähigkeitskriterien am 3.1.2018 erfüllen, wurden am 4.1.2018 mit tagesaktuellen Ratings von der unabhängigen Nachhaltigkeitsratingagentur oekom research AG (oekom) untersucht. Von den 29.445 Wertpapieren konnten 25.111 mit tagesaktuellen Ratings geprüft werden, was einem Abdeckungsgrad von 85% entspricht. Bei der Untersuchung wurde erneut nur auf schwerwiegende und sehr schwerwiegende ethische Kontroversen der schon 2017 exemplarisch untersuchten Aspekte der EU Grundrechtscharta abgestellt (Art. 32 Kinderarbeit; Art. 37 Umweltschutz; Art. 5 Menschenrechtsverletzungen wie z.B. Zwangsarbeit; Steuervermeidung und Korruption). Die Prüfung ergab erneut folgende alarmierenden Ergebnisse (und damit eine Zunahme der Verstöße):
Schwerwiegende Kontroversen im Geschäftsgebaren bezüglich…/Wertpapieranzahl im EZB- Verzeichnis marktfähiger Sicherheiten…
- Steuerzahlungen 481 Stück
- Geldverkehr 592 Stück
- Korruption 936 Stück
- Umweltschutz 480 Stück
- Menschenrechtsverletzungen 72 Stück
- Produktion geächteter Waffen 16 Stück
Abhilfe:
Um den Missstand einfach und wirksam zu beseitigen, ist bei den Kriterien für notenbankfähige Sicherheiten[5] die dauernde Nichtverletzung der EU Grundrechtscharta als Zulassungsbedingung mit aufzunehmen. Compliance mit der EU Grundrechtscharta ist durch ein aktuelles Ethikrating regelmäßig nachzuweisen. Das Ethikrating kann wettbewerbspolitisch neutral durch die am Markt bereits verfügbaren unabhängigen Ethikratings etablierter Ratingagenturen transparent abgebildet werden, zu denen die EZB und alle weiteren Finanzmarktakteure jederzeit Zugang haben.
Begründung:
Aus der Existenz der EU Grundrechtscharta folgt eine selbstverständliche Verpflichtung für die EZB, wie oben vorgeschlagen vorzugehen. Da durch meine Analyse marktfähiger notenbankfähiger Sicherheiten massenhaft Verstöße gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sichtbar geworden sind, erscheint eine explizite Aufnahme dieser europäischen Mindestmoral auch in die Statuten der EZB dringend erforderlich. Bisher sind EZB und der Europäische Finanzmarkt bei der Durchsetzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht ausreichend einbezogen worden. Eine Korrektur wird die positive Entwicklung der Europäischen Union weiter fördern und das Vertrauen in die vorbildlichen Standards des europäischen Finanzmarkts als globalen Wettbewerbsvorteil stärken.
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Wortlaut der ursprünglichen Petition vom Mai 2017:
Offene Petition an das Europäische Parlament: Die Europäische Zentralbank kann durch operative Ausgestaltung ihrer Mindestreserveinstrumente mitverantwortlich sein für Verstöße gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Mit der Bitte um Stellungnahme und Regulierung, so dass eine indirekte Beteiligung an Verstößen gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Europäische Zentralbank zukünftig sicher ausgeschlossen wird
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Europäische Zentralbank (EZB) ist mittelbar daran beteiligt, die grundlegendsten Werte der Europäischen Union zu untergraben. Dies geschieht täglich durch den Handel von mit Verstößen gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung zu bringenden Wertpapieren. Die Auswirkungen dieses Handelns können wegen der großen Transaktionsvolumina der EZB wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Europäischen Union haben.
In der aktuell praktizierten operativen Mindestreservepolitik der EZB sind grundlegendste ethische Aspekte nicht sichtbar oder nicht ausreichend zu erkennen. Zudem existiert für die Berücksichtigung solcher Aspekte keine explizite Ratingverpflichtung. Das ist für eine der wichtigsten Institutionen der europäischen Idee unangemessen und wirkt direkt gegen die politischen Bemühungen um eine menschenwürdige, umweltsensible, nachhaltige und korruptionsfreie Europäische Union.
Um diesen Missstand zu beheben, sollen mittels der öffentlichen Petition und einem im Nachgang in Gang gesetzten politischen Prozess im Europäischen Parlament die EZB und damit alle in der Europäischen Union tätigen Geschäftsbanken explizit dazu verpflichtet werden…
- … in ihren mindestreserverelevanten Geschäften die Einhaltung von ethischen Mindestaspekten gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sicher zu stellen und
- … für diese mindestreserverelevanten Geschäfte in Form eines öffentlich verfügbaren Nachhaltigkeitsratings Transparenz zu schaffen.
Für eine Institution der Europäischen Union ist es unwürdig, wenn die Einhaltung der grundlegendsten Werte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in ihren Geschäften weder überprüft noch formal vorausgesetzt wird, obwohl dies leicht umsetzbar wäre. Es wäre für die EZB auch heute schon sehr einfach möglich, ihre als mindestreservefähig akzeptierten Wertpapiere durch externe Nachhaltigkeitsratings zu bewerten und kontroverse Schuldtitel nicht in den für alle Geschäftsbanken zwingend erforderlichen Mindestreservegeschäften zu akzeptieren.
Um die oben beschriebenen Defizite zu belegen, füge ich eine Analyse der aktuellen Mindestreservegeschäftspolitik der EZB vom 13.03.2017 bei, die gemäß Artikel 51 („Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union“) ebenfalls der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zwingend verpflichtet ist.
Exemplarisch betrachtete Aspekte sind hierbei insbesondere:
- EU Grundrechtscharta Art. 32 (1) „Kinderarbeit ist verboten.“
- EU Grundrechtscharta Art. 37 „Ein hohes Umweltschutzniveau [… muss] nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden.“
- Steuervermeidung und Korruption aufgrund der aktuellen Diskussion im Europäischen Parlament rund um die Erkenntnisse aus den Panama Papers
- Menschenrechtsverletzungen
Nach Artikel 19 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank verlangt die EZB, dass Kreditinstitute im Rahmen des Mindestreservesystems des Eurosystems Mindestreserven auf Konten bei den nationalen Zentralbanken unterhalten.[1] Hierfür sind Kreditinstitute verpflichtet, Wertpapiere als Sicherheit zu hinterlegen. In der von der EZB publizierten Übersicht aller als Sicherheiten akzeptierten Wertpapiere[2] (EZB-Mindestreservefähigkeitsliste) befinden sich Papiere, die mit grundlegenden Werten der Europäischen Union nicht vereinbar sind und die der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vollständig gerecht werden.
Die exemplarischen Aspekte Menschenrechtskontroversen (z.B. Kinder- oder Zwangsarbeit), kontroverses Umweltverhalten und kontroverse Wirtschaftspraktiken (z.B. Korruption & fragwürdiger Umgang mit der Steuerpflicht) wurden anhand eines aktuellen Forschungsdatensatzes der unabhängigen Nachhaltigkeitsratingagentur oekom research AG (oekom) geprüft. Sie verwendet als Maßstab dafür, welches Verhalten in diesem Sinne als kontrovers eingestuft wird, eine Operationalisierung, die auf internationalen Konventionen und Richtlinien beruht. Für die Bewertung und Einstufung der Schwere einzelner Sachverhalte bei Unternehmen und Staaten wird hierbei auf die Differenzierung zwischen schwerwiegenden und sehr schwerwiegenden Kontroversen abgestellt.[3]
Der Abdeckungsgrad der Ratingdaten beträgt rund 88%, so dass 26.110 der 29.552 von der EZB akzeptierten Wertpapiere einer Prüfung unterzogen werden konnten.
Die Prüfung ergab folgende alarmierenden Ergebnisse:
Art der Kontroversen/Wertpapieranzahl in der EZB-Mindestreservefähigkeitsliste:
Schwerwiegende Kontroversen im Geschäftsgebaren bezüglich…
- Steuerzahlungen 4751
- Geldverkehr 2023
- Korruption 247
- Umweltzerstörung 181
- Menschenrechtsverletzungen 70
- Produktion geächteter Waffen[4] 10
Schwerwiegende Kontroversen im Geschäftsgebaren von Zulieferern/Finanziers bezüglich…
- Menschenrechtsverletzungen 8
- Kinderarbeit, Zwangsarbeit 7
Exemplarische Beispiele für gefundene Kontroversen im Rahmen der EZB-Mindestreservefähigkeitsliste:
Eine Beteiligung an der Produktion geächteter Waffen wird der Airbus Group unterstellt, zu der die Airbus Group Finance als von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent gehört: „The company is involved in the production of nuclear weapons, which have been restricted by the Nuclear Non-Proliferation Treaty. The United Nations regards the way in which these weapons systems operate as inhumane. The deployment of banned weapons can undermine fundamental human rights such as ‚the right to life, liberty and security of person‘, Art. 3, United Nations Universal Declaration of Human Rights. Nuclear weapons are considered as particularly controversial because of their indiscriminate effects on civilians and the disproportionate harm they cause.”[5]
Umweltzerstörung ist für die Eni SpA eine Kontroverse, die ein von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent ist: “Environmental impacts of the product portfolio: The company’s products and/or services are generally not compatible with the achievement of sustainable development goals. Comment: The company is mainly active in the production and/or refining of crude oil. It also has some minor business activities in the field of products and/or services with clear environmental benefits (e.g. biofuels, renewable energies). However, these positive impacts are outweighed by the negative environmental impacts from the company’s core business activities.”[6] Ebenso wird Royal Dutch Shell PLC, zu der die Shell International Finance BV als von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent gehört, Umweltkontroversen unterstellt: “Continual major pollution due to flaring, spills and leaks in Nigeria.”[7]
Verstöße im Geldverkehr bei Wells Fargo & Co als ein von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent werden öffentlich diskutiert: “Business Malpractice: 2017: USD 295m in settlements related to unauthorised opening of accounts, US.“ [8] , “According to the US Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) in September 2016, Wells Fargo will pay USD 185 million to settle accusations that between 2011 and 2016 its employees attempted to meet high sales targets set by the company as well as to earn additional compensation by unlawfully opening around 1.5 million unauthorised accounts for customers without their knowledge.”[9]
Anheuser-Busch InBev SA/NV als ein von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent wurde im Zusammenhang mit Vorwürfen zu Korruption öffentlich bekannt: „2016: USD 6m settlement with US Securities and Exchange Commission for corruption charges in India.”[10] Ebenso JPMorgan Chase & Co als ein von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent: “In November 2016, JPMorgan Chase reached a settlement with the Securities and Exchange Commission (SEC) and the Department of Justice (DoJ) to resolve the allegations of hiring relatives and friends of Chinese officials in exchange for profitable business deals, thereby violating the Foreign Corrupt Practices Act.”[11]
Hinweise zu möglicher Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen finden sich über LafargeHolcim Ltd mit der die Holcim Finance (Luxembg) S.A. als von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent verbunden ist: “Media reported in June 2016 that Lafarge (before the merger with Holcim in 2015 to have become LafargeHolcim) made payment deals with the terrorist group Islamic State (IS) in 2013 through till September 2014. As reported, Lafarge was accused of purchasing licenses from and paying taxes to the jihadist group through IS middlemen and oil traders to continue production at its Jalabiya cement factory in 2013, when ISIS started taking control over the city. Allegedly, the headquarter was aware of such arrangements. The company did not comment on the allegations, saying only that safety and security of its employees is its priority.”[12] Kontroversen zu möglichen Menschenrechtsverletzungen werden über die International Finance Corporation als von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent diskutiert: “2013: Major human rights violations related to palm oil producer Corporacion Dinant in Honduras.”[13] Ebenso bei Ferrovial SA mit der die Ferrovial Emisiones, S.A. als von der EZB akzeptierter Wertpapieremittent verbunden ist: “In May 2016, Ferrovial took over the Australian company Broadspectrum (previously called Transfield Services). Broadspectrum has been the lead contractor managing Australia’s offshore detention centres for asylum seekers in Nauru since September 2012 and Papua New Guinea since February 2014. In June 2016, the camps hosted 442 and 854 people, respectively. The Australian government’s policy of keeping refugees in foreign detention centres and the conditions in the camps have been widely and repeatedly criticised by the international community, including several bodies of the United Nations, the Australian Human Rights Commission and several NGOs. Additionally, in April 2016, Papua New Guinea’s supreme court ruled that the centre in the country was unlawful and the country’s government said it would shut it. In August 2016, ‚The Nauru Files‘, a report published by the Guardian based on more than 2,000 leaked incidence reports from the camps, again shed light on numerous allegations regarding assaults, sexual abuse, self-harm attempts and bad living conditions. More than half of the reports involved children. Previously, allegations of misconduct had also been raised against some staff members of the service providers in the camp. Before the take-over, Ferrovial had indicated that the services in the detention centres were not a core part of the acquisition rationale and that it would not renew the contracts after they expire in February 2017. In response to the Nauru Files, Broadspectrum stated that it would take all allegations extremely seriously and that it had appropriately dealt with the allegations in accordance with the reporting system it has in place.”[14]
Insgesamt sind in der EZB-Mindestreservefähigkeitsliste auf Basis des Forschungsdatensatzes der oekom eine Vielzahl von fragwürdigen Wertpapieren zu finden (siehe Anlage).
Die Ergebnisse belegen, dass eine systematische Überprüfung der EZB-Mindestreservefähigkeitsliste auf ethische Aspekte hin angezeigt ist und die EZB zukünftig regulatorisch verpflichtet werden muss, nur noch Wertpapiere zur Mindestreserve zu akzeptieren, die den ethischen Mindeststandards der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nachweislich nicht widersprechen.
Mit den besten Grüßen,
Harald J. Bolsinger
Verteiler:
Europäisches Parlament (Petitionsausschuss)
Politische Parteien im Europäischen Parlament
Presse
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[1] Vgl. http://www.ecb.europa.eu und https://www.bundesbank.de
[2] Siehe jeweils tagesaktuell http://www.ecb.europa.eu/mopo/assets/assets/html/index.en.html. Im vorliegenden Fall wurde der Datensatz vom 13.03.2017 verwendet.
[3] Siehe http://oekom-research.com/index.php?content=kriterien für das verwendete Kriterienraster sowie http://oekom-research.com/index.php?content=country-kriterien für das verwendete Länderkriterienraster..
[4] Produzenten von nach dem Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofes geächteter Waffensysteme (z.B. ABC-Waffen)
[5] oekom Corporate Rating Airbus Group SE, Langversion vom 31.03.2017, S. 12
[6] oekom Corporate Rating Eni SpA, Langversion vom 22.03.2017, S. 29
[7] oekom Corporate Rating Royal Dutch Shell PLC, Langversion vom 22.03.2017, S. 3
[8] oekom Corporate Rating Wells Fargo & Co, Langversion vom 10.04.2017, S. 3
[9] oekom Corporate Rating Wells Fargo & Co, Langversion vom 10.04.2017, S. 20
[10] oekom Corporate Rating Anheuser-Busch InBev SA/NV, Langversion vom 2.03.2017, S. 3 und 27
[11] oekom Corporate Rating JPMorgan Chase & Co, Langversion vom 20.03.2017, S. 25
[12] oekom Corporate Rating LafargeHolcim Ltd, Langversion vom 13.03.2017, S. 15
[13] oekom Corporate Rating International Finance Corporation, Langversion vom 13.03.2017, S. 3
[14] oekom Corporate Rating Ferrovial SA, Langversion vom 16.12.2016, S. 15
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Zum generellen Weiterdenken zur Unabhängigkeit von Zentralbanken empfehle ich den exzellenten Vortrag von Sir Paul Tucker: „Die politische Unabhängigkeit der Zentralbanken und das Problem ihrer verfassungsmäßigen Kontrolle“