Professionelles Wertemanagement in der Praxis – Teil IV: Die Kür!
Nachdem wir die Schritte Werteidentifikation und -fixierung in den letzten Beiträgen (Einführung, Teil 1, Teil 2, Teil 3) betrachtet haben. Geht es hier nun um die Königsdisziplin im Wertemanagement: Die Kultivierung der Werte! Leider ist das genau der Teil, der in unzähligen Unternehmen einfach ausgeblendet wird, weil er immer mit Veränderung einher geht und sich auch nicht über Nacht realisieren lässt. Genau wegen dieser Veränderung, geht man die vorhergehenden Schritte! Wenn die Umsetzung offen bleibt, war alles Vorhergehende sinnbefreit. Wir merken erst an den Anstrengungen zur Kultivierung der Werte, ob es sich um eine Luftnummer für (schlechtes) Marketing handelt oder ob der Differenzierungsvorteil durch das gemeinsam erarbeitete Werteportfolio tatsächlich gehoben werden soll! Bei der Kultivierung hilft, ein zuvor klug gestaltetes Wertemanagementsystem zu implementieren. Mit einem Maßnahmenkatalog zur Operationalisierung der Werte in jedem Unternehmensbereich gehen erweiterte Controllinginstrumente (z.B. Wertescorecard), Verantwortlichkeiten und Organisationsstrukturänderungen einher. Zusätzlich ist die verbindliche Definition von dauerhaften Reflexions-/Trainingsräumen (zeitlich und organisatorisch) in Alltagsprozessen ein MUSS (Rituale, Dialoge, Konfrontationen, Auszeichnungen, …). Die häufigsten Fragen, mit denen Sie seit dem letzten Blogpost auf mich zugekommen sind, drehten sich um Werte-orientierte Führung: Wie können wir unsere Führungskräfte dazu bewegen, die Werte mit Leben zu füllen? Darauf gehe ich gerne hier ein…
Um das Wertesystem zu kultivieren, ist eine konsequente und alltägliche Umsetzung in allen Prozessen, Bereichen, Dienstleistungen, Produkten und damit im vollumfänglichen Handeln des Unternehmens erforderlich. In diesem Stadium des Wertemanagementkreislaufs gilt es, das Unternehmen vollständig mit den fixierten Werten unter Zuhilfenahme der nun vorhandenen Instrumente zu durchdringen sowie alle Prozesse auf den Werteprüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu verändern. Es steht folgende Frage im Vordergrund: „Wie entwickeln wir wertebezogene Konsequenz und Nachhaltigkeit in allen Aspekten, um dauerhaft unsere Sinngebung in ihrer Einzigartigkeit sicherzustellen?“ Dieser Schritt beinhaltet auch die wertebezogene Reflexion und Überprüfung aller vom Unternehmen erzeugten Produkte und Dienstleistungen auf konsequente Wertepassung. In der Regel wird in diesem Schritt an einigen Stellen offenbar, dass die operationalisierten Wertevorstellungen noch nicht in allen Prozessen vollständig gelebt werden und demnach die entsprechenden Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu kalibrieren sind.
Durch diesen Schritt entstehen automatisch Prozess und Produktinnovationen (im Link ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis: die erste „Sinnbilanz“ weltweit fürs Banking), da sie für das Unternehmen frisches Denken und verändertes Handeln beinhalten.
In Einzelfällen kann es durchaus vorkommen, dass auch Kernprozesse wie Führung und Organisation im Unternehmen neu nachgeschärft werden müssen. Um der gebotenen Konsequenz so Rechnung zu tragen, dass die Ansprüche an ein bestehendes Leitbild neu erfüllt werden, ist beispielsweise die Konkretisierung und Umsetzung von Führungsleitlinien ein gutes Mittel. Zuletzt konnte ich das mit der Führungsmannschaft des Caritasverbandes Würzburg umsetzen. In einem zweitägigen Prozess erfolgte die Werteoperationalisierung auf Basis eines bestehenden Leitbildes und die Überführung in Führungsleitlinien, deren Anwendbarkeit in der Praxis im Zentrum steht. Und da wird es dann sehr interessant, denn in einem besonders herausfordernden Umfeld wie seinerzeit durch die COVID-Pandemie, braucht es innere Stärke aller Führungskräfte für die Umsetzung! Die Caritas Würzburg ist hierfür ein schönes Beispiel, weil die Werteressourcen in dieser Organisation eine starke weltanschauliche Fundierung beinhalten. Das wirkt vor allem sehr gut dabei, auf die Frage nach dem Warum werteorientierten Handelns eine Antwort zu finden. Die Begründungen basieren dann auf einer individuellen christozentrischen Spiritualität intrinsisch verankerter Werte und nicht auf einem oft künstlich erzeugten „sense of urgency„, wie Kotter sagen würde. Diese Wahrheit sorgt vor allem bei meinen Studierenden immer wieder für einen großen AHA-Effekt: die Welt verfügt über eine Vielzahl metaphysischer Zugänge zur normativen Begründung richtigen Verhaltens. Es ist gut, diese genau zu kennen, um das passende Narrativ für eine bestimmte Führungsmannschaft entwickeln zu können.
Werteorientiertes Führen in einer von multiplen sich überlagernden Krisen geprägten VUCA-Welt erfordert konsistente, konsequente und verlässliche Antworten gleichermaßen auf Fragen des Tagesgeschäfts wie auch der strategischen Ausrichtung. Die Würzburger Caritas macht hierbei auf Basis eines bewährten Leitbildes eine exzellente Figur und ist wirklich einen Blick Wert, wenn Sie für Ihre eigene Organisation lernen wollen. Meine weltanschaulich fundierte Führungsempfehlung in dem Kontext lade ich gerne hier hoch, damit Sie exemplarisch sehen, wie zielführende Inhalte fernab des Einheitsbreis aussehen können.
Wie sieht Ihr eigenes weltanschauliches Fundament aus? Wenn Sie es kennen, dann nutzen Sie es doch, indem Sie es auch BEkennen…. „Shared Values“ brauchen keine singuläre Begründung, sondern dürfen auch mit der Vielfalt individueller Begründungszusammenhänge diskutiert werden. Das hilft ganz nebenbei, auch des spirituelle Kapital im Unternehmen zu heben, das aus der spirituellen Intelligenz des Menschen hervorgeht und die wohl stärkste intrinsische Motivation auslöst, die beim Menschen möglich ist.
Hier ist auch mein Praxistipp auf Ihre Fragen zur Werte-orientierten Führung: Führen Sie in Vielfalt aber gemeinsam, anstatt einsam! Gemeinsames werteorientiertes Führen stärkt gegenseitig und basiert auf dem vorhergehenden Wertefindungsprozess. Führungskräfte lernen in den ersten Schritten des Wertemanagementkreislaufs, dass sie nicht alleine sind – dass die Definition einer guten gemeinsamen Zukunft ein partizipativer und diskursethisch gestalteter Prozess ist, der jedermanns weltanschauliche Fundamente respektiert. Darauf aufzubauen, die Wertestärken einzelner Führungskräfte herauszuarbeiten und auch die Wertekultivierung im gemeinsamen Austausch mit diesen Stärken zu bewältigen, gibt dem Veränderungsprozess den nötigen Schwung! Wer selbst erfährt, wie die eigenen Stärken die Werteumsetzung begünstigen, nutzt auch die individuellen Ressourcen der Mitarbeitenden. Als Organisation kann jede Person ihre eigenen Werteschwerpunkte setzen, so dass in der Summe des Teams schlussendlich das gesamte Wertportfolio organisational sichtbar wird. Das ist ein wichtiger Unterschied zu den engen Verhaltensverpflichtungen im Sinne automatisierter Menschen, die nicht sie selbst, sondern nur extrinsisch motivierte Umsetzerinnen und Umsetzer sind.
Wenn dann die Werte als neuer Maßstab zur Anwendung kommen, muss das unbedingt leicht verständlich und partizipativ erfolgen. Die verwendete Analysemethode zur Anpassung von Produkten und Dienstleistungen muss einfach und transparent sein, um auch hier erneut diskursethisch die Kraft der gesamten Mitarbeiterschaft unabhängig vom Ausbildungsfach und -grad nutzbar zu machen. Bewährt hat sich dafür der Einsatz einer einfachen Wertematrix: Prozessschritte oder Dienstleistungsschritte und Produktaspekte werden in den Spalten kleinteilig sichtbar gemacht, während in den Zeilen die einzelnen, zu betrachtenden Werte aufgeführt werden. Ein Excel-Beispiel aus meiner Beratungspraxis finden Sie hier: Wertekonformitaet-Analyseinstrument-LEER Sodann gilt es, in jeder Spalte den Erfüllungsgrad des jeweiligen Wertes aus Mitarbeiter- und Kundensicht qualitativ zu beurteilen und daraus Anpassungen abzuleiten, damit jeder Prozess- oder Dienstleistungsschritt und Produktaspekt sämtlichen Werten glaubwürdig gerecht wird. Der Erfolg liegt in der Einfachheit – jenseits unverständlicher Theorien und überzogener Ratings! Nutzen Sie den gesunden Werteverstand Ihrer Mannschaft, lassen Sie sich Zeit bei der Diagnose und freuen Sie sich auf die Innovationen, die in den Anpassungen stecken! Die konsequente Anwendung von starken Werten fördert die sichtbare Differenzierung durch das tatsächliche Handeln.
In diesem Stadium des Wertemanagementkreislaufs führt das geschärfte Unternehmensethos oft zu den für die Stakeholder wichtigsten und spürbarsten Verbesserungen, bis hin zu einem vollständigen Paradigmenwechsel. Spätestens an dieser Stelle sind je nach Werteset erste Diskussionen über die Verwirklichung von Nachhaltigkeitsaspekten z.B. in Form der Agenda 2030 und ihrer Nachhaltigkeitsziele durch das unternehmerische Handeln wahrscheinlich. Diese Diskussionen erfahren damit eine belastbare Begründung aus dem Unternehmensethos selbst heraus, im Unterschied zu bloßer, nicht wertefundierter Beschäftigung aufgrund externer Berichtsvorschriften.
Dieses Ideal der Selbstprüfung und Reflexion ist auch für die Passung des Wertesystems zu eventuell gewandelten Vorstellungen in der Kundschaft und weiteren Stakeholdern relevant. Reflexion im Unternehmen ist nun zur Dauereinrichtung zu machen, indem Dialoge mit entsprechenden Anspruchsgruppen regelmäßig durchgeführt werden. Das reicht von der Diskussion interner und externer Berichterstattung, Veranstaltung von Multistakeholderforen, Mitarbeit in politischen Branchennetzwerken, Einsetzung eines Kunden-, Werte- oder Nachhaltigkeitsbeirats und weiterer Instrumente, um sicherzustellen, dass zukunftsrelevante Themen vor dem Wertehintergrund der Stakeholder identifiziert, diskutiert und reflektiert werden. Werte und Wertemanagementsystem sind aufgrund dieser Erkenntnisse institutionalisiert regelmäßig zu reflektieren. Nur dadurch kann erkannt werden, zu welchem Zeitpunkt der Wertemanagementprozess eine Aktualisierung und Fortschreibung relevanter Kunden- und Mitarbeiterwerte erfordert und welche Prozessschritte damit erneut in welchem Umfang zu durchlaufen sind, um der Dynamik gesellschaftlichen Wertewandels Rechnung zu tragen.
Zeitgemäßes Wertemanagement, das Basis jeder Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und ebenfalls jeden glaubwürdigen Nachhaltigkeitsmanagements darstellt, berücksichtigt ganzheitlich sichtbare und unsichtbare Faktoren von Menschen und Organisation. Eingebettet in das Grundverständnis von Sinnfragen aller handelnden Akteure, bleibt es eine wertebezogene Daueraufgabe, im Unternehmen diskursethisch und reflexiv das optimal verbindende und strategieunterstützende einzigartige Werteportfolio zu managen und weiterzuentwickeln. Kommen Sie gerne auf mich zu, wenn Sie dabei einen externen Blick wollen, der Sie befähigt, aus eigener Wertekraft heraus resilient zu wachsen!